Interview mit Nathalie Stüben - nüchtern, alkoholfrei, abstinent, alkoholunabhängig

#nüchtern – Interview mit Nathalie Stüben

Am 17. Februar 2023 durfte ich Nathalie Stüben während eines Live Talks auf Instagram ein paar Fragen zum Thema “Raus aus der Alkoholabhängigkeit” stellen. Sie ist seit über 6 Jahren abstinent und erzählt, wie sie es geschafft hat.

Nathalie Stüben

Die 37-jährige Journalistin Nathalie Stüben war alkoholabhängig. Mittlerweile lebt sie seit 18.7.2016 nüchtern und gilt als Expertin rund um die Themen Alkoholsucht und Abstinenz. Die zweifache Mutter und SPIEGEL-Beststeller-Autorin betreibt unter dem Namen „Ohne Alkohol mit Nathalie“ diverse Social-Media-Kanäle, auf denen sie aufklärt und Menschen mit einem Alkoholproblem dazu motiviert, dauerhaft mit dem Trinken aufzuhören. Sie sagt: „Ich habe es lange für unmöglich gehalten, ohne Alkohol zu leben. Heute bin dankbar, nicht mehr trinken zu müssen. Weil ich etwas Entscheidendes begriffen habe: Ein Leben ohne Alkohol ist keine Qual, es bedeutet Freiheit.“
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Alkoholfrei in der Fastenzeit

…oder für immer. Die Fastenzeit ist jedoch ein guter Anfang, genau so wie der Dry January, um seine eigenen Gewohnheiten einmal unter die Lupe zu nehmen. Ich trinke seit ein paar Monaten gar nicht mehr, nachdem ich mich gefragt habe, warum schütte ich ein Zellgift in mich hinein, habe ich beschlossen, das werde ich nicht mehr tun.

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Auch 4 Wochen sind schon sehr gut, damit sich die Leber und viele andere Organe regenerieren können.

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Interview mit Nathalie Stüben (Ausschnitt):

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Es ist sehr mutig von dir, deine Geschichte zu erzählen. Wie geht es dir dabei?

Nathalie: Wir müssen das Klischeebild aus den Köpfen bekommen. Es ist für viele junge Frauen Realität. Die Öffentlichkeitsarbeit ist sehr wichtig für mich, auch wenn sie oft anstrengend ist, weil ich jedes Mal das Gleiche erzähle.

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Wie hat sich der Alkoholkonsum bei dir entwickelt? Wann hast du das erste Mal getrunken?

Nathalie: “In Deutschland trinken die Jugendlichen mit 14/15. Ich war frühreif. Mit 12 schon Interesse an Party und Clique. Da war es cool, zu trinken und zu rauchen. Meine Eltern fanden es nicht toll, aber sie dachten, dann trinken sie mit mir guten Wein und wir führen sie in die Kultur ein. Abhängigkeit war nie ein Thema. In der Schule hätte ich mir auch mehr Aufklärung gewünscht. Und zwar nicht nur über die Folgeerkrankungen wie Leberzirrhose oder Leberkrebs, sondern auch wie früh es auf die Psyche schlägt. Wie sehr es Ängste schürt. Angst vorm Leben und Sorgen, nicht alles hinzukriegen. Da hat Alkohol einen massiven Anteil. Entweder bei der Entstehung oder bei der Verstärkung solcher Gefühle. Und das war mir ewig lang nicht klar. Das Alkohol traurig macht. Ich hab dann irgendwann war ich der Überzeugung, ich bin ein melancholischer Typ.”

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Wann hast du das erste Mal gedacht: Vielleicht habe ich ein Problem? 

Nathalie: “So Anfang / Mitte 20 hatte ich das Gefühl, ich sei ein melancholischer Typ. Und in diesem Zeitraum hatte ich auch schon einige Total-Abstürze. Da hatte ich mir vorgenommen, ich trinke heute nur ein Glas und ich trinke ganz langsam und nach jedem Glas Alkohol trinke ich ein Glas Wasser. Aber das hat nicht funktioniert. Ich hatte immer wieder Black-outs. Das bedeutet, du tust noch Dinge und bist überzeugt, dass sie richtig und logisch sind, aber am nächsten Tag, kannst du dich nicht an sie erinnern. Dein Gehirn ist zu dem Zeitpunkt so vergiftet, dass die Abspeicherungsfunktion außer Kraft gesetzt ist. Als die Versuche, diese Abstürze zu vermeiden, gescheitert sind, da fing meine innere Stimme an zu sagen: du, ich glaub, du hast da ein Problem. Rückblickend muss ich sagen, ich habe auch immer mehr vertragen als meine Freundinnen. schon mit 14/15.”

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Hätte jemand in deiner Jugend was merken können? Freunde, Familie, Ärzte?

Nathalie: “Ich war nie beim Arzt. Ich hatte nichts und bin oft umgezogen, daher hatte ich keinen Hausarzt. Da ich immer gut funktioniert habe, Spitzennoten hatte, haben meine Freundinnen sich keine Sorgen gemacht. Es war eher so als Live-Style abgespeichert. Hinterher haben ein paar Freundinnen schon gemerkt, dass ich immer traurig war mit meinem Leben. Das haben sie nicht auf den Alkohol geschoben. Ich hab stark zugenommen und war sehr unglücklich damit. Meine Mutter dachte, ich bin unglücklich, weil ich so viel wiege – das war ich auch. Das war eine Folge vom Alkohol, nur hat es keiner darauf geschoben.”

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Wie viel hast du getrunken? Hat sich das gesteigert?

Nathalie: “Bis zu letzt habe ich nicht täglich getrunken. Ich konnte Wochen, Monate lang nicht trinken. Ich war nicht glücklich, aber es war kein Problem. Aber wenn ich dann wieder angefangen habe, habe ich kein Ende gefunden.”

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Gab es ein Auslöser, warum du dann wieder getrunken hast?

Nathalie: “Irgendwann war das nur noch die blanke Sucht, nur noch Gewohnheit. Auf dem Weg würde ich sagen: Ich habe immer einen Grund gefunden. Wenn ich gelobt wurde, wenn ich etwas abgegeben habe, da hatte ich ein Gefühl, das war so krass. Das konnte ich nicht zu lassen. Bei mir waren es eher die guten Gefühle, die es ausgelöst haben. Irgendwann habe ich jede Gelegenheit genutzt”

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Warst du körperlich abhängig?

Nein, das war ich nicht. Körperliche Erscheinungen haben die allerwenigsten. Eine Handvoll Prozent der Abhängigen sind physisch abhängig. Über 90% haben keine physischen Entzugserscheinungen, gelten aber schon als abhängig.

Renate: 1,8 Mio. Menschen sind abhängig und nur 14% suchen Hilfe. Alkohol ist gesellschaftsfähig und gehört zu einer guten Party dazu. Aber sobald man ein Problem hat ist man im Abseits. Viele trauen sich gar nicht, es zuzugeben oder sich Hilfe zu suchen.

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Was war bei dir der Wendepunkt?

Nathalie: “Ein typischer Morgen nackt neben einem Typen aufgewacht. Ich wusste, nicht was passiert war. Es war mal wieder so ein Morgen und ein Morgen zu viel. An dem Morgen war ich bereit zu sagen, ich höre ganz auf. Wenn das sein muss, dann nenn ich mich halt Alkoholikerin. Ich gehe auch das Risiko ein, dass andere erkennen, dass ich ein Problem habe. Jetzt ist mir alles egal. Mein Social Standing, meine Karriere – das nahm ich in Kauf, um gesund zu werden. Ich bin nicht in die Suchthilfe gegangen. Heute denke ich, es hätte schon funktioniert. Es gibt so viele tolle SuchtberaterInnen. Aber es kam mir damals gar nicht in den Sinn.”

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Wie hast du es alleine geschafft?

Nathalie: “Ich habe angefangen, Podcasts zu hören und mir Literatur zu bestellen. Die Journalistin in mir hat sich dann systematisch in das Thema eingearbeitet. Ich habe mir Wissen aufgebaut und geschaut, was für mich funktioniert.”

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Hattest du einen Moment, wo du hättet rückfällig werden können?

Nathalie: “Ich hatte so eine Angst, weil ich mir nicht vorstellen konnte, wie ein Leben ohne Alkohol aussehen konnte. Das existierte in meinem Kopf gar nicht. Was krass war: Von Anfang an habe ich eine riesige Erleichterung gespürt. Als hätte ich mir einen Rucksack mit 1000 Ziegelsteinen drin abgestellt. Klar, gab es schwierige Momente. Aber gleichzeitig, war es viel einfacher als ich dachte, weil es mir so schnell viel besser ging. Dennoch habe ich mir nicht über den Weg getraut und gedacht, hoffentlich komme ich nicht auf blöde Gedanken.”

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Wie hast du dich darauf vorbereitet? Bist du gewissen Situationen aus dem Weg gegangen?

Nathalie: “Ja, das waren so klassische Tricks, die ich mir angelesen habe. Meine Straßenbahn hielt zum Beispiel direkt vor dem Supermarkt, in dem ich oft Wein gekauft habe. Da bin ich dann eine Haltestelle früher ausgestiegen und bin einen Umweg gegangen, weil ich wusste, dieser Supermarkt, wird mir gefährlich. Oder ich bin nicht italienisch essen gegangen mit meinen Freundinnen sondern spazieren. Und ich bin erstmal nicht auf Partys gegangene – also ja, ich habe mir neue Gewohnheiten geschaffen.”

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Wieso hast du diese Entscheidung an diesem Tag durchgezogen und die Entscheidungen vorher nicht?

Nathalie: “Es war das erste Mal, dass ich gesagt habe, ich lasse es ganz. Vorher wollte ich es kontrollieren.”

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Ist ein kontrolliertes Trinken möglich?

Nathalie: “Das ist in der Suchttherapie ein sekundäres Therapie-Ziel. Der Hintergrund sind die 85%, die nicht zur Therapie kommen. Wie erreicht man diese? Über dieses Konzept landen circa ein Drittel der 85% in der Abstinenz. Ich halte vom kontrollierten Trinken nichts. Weil Menschen mit einer Abhängigkeit sich immer gesünder einschätzen als sie sind. Das Problem ist, man kann die Sucht nicht überwinden, ohne die Droge wegzulassen. Das funktioniert meiner Meinung nach nicht.”

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Alkohol ist ein Zellgift – ab dem ersten Schluck. 

Nathalie: “Canada hat dazu tausende Studien dazu. Alkohol ist ab dem ersten Tropfen schädlich. Canada hat es in Richtlinien überführt. Maximal 2 Drinks pro Woche.”

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Was trinkst du sonst? Wasser und Tee oder auch mal was Alkoholfreies?

Nathalie: “Nein, ich trinke keine alkoholfreien Alternativen. Das ist mir zu nah dran. Ich würde es nicht riskieren. Das was ich mir aufgebaut habe.”

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Nathalie hat ein 30 Tage Programme entwickelt “Ohne Alkohol mit Nathalie” – alle Informationen auf ihrer Webseite https://oamn.jetzt/

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Fakten zu Alkohol

Suchtgedächtnis: Im Gehirn gibt es die Erinnerung, das kann schnell reaktiviert werden. Der Wunsch oder der Drang nach der Droge ist quasi eingebrannt im Gehirn. Das Suchtgedächtnis kann man nicht löschen. Es kann immer wieder sein, dass der Impuls, der Wunsch kommt. Wichtig ist, es wahrzunehmen, es offen anzusprechen und mit Freunden und Therapeuten zu sprechen. Es nicht tabuisieren.

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  • 1,8 Millionen Menschen in Deutschland sind in etwa alkoholabhängig, aber nur 14% suchen sich Hilfe.
  • Ausgaben pro Jahr für alkoholische Getränke liegen bei circa 24,76 Mrd. € – der volkswirtschaftliche Schaden durch Krankheiten und Fehlzeiten liegt bei 40 Mrd.€ pro Jahr.
  • Der Konsum bei Männern war im Jahre 2000 bei 40,7% und 2021 bei 33,6% – bei Frauen nahm der Konsum in diesen Jahren um 3,7% zu (von 13% auf 16,7%)
  • Über 75.000 Menschen sterben im Jahr am Alkoholkonsum. An Zigaretten 125.000 Menschen pro Jahr.
  • Alkohol verursacht etwa 200 Erkrankungen, die in 33 Gruppen eingeteilt werden. Eine Gruppe umfasst Krebs und dabei werden 7 Krebserkrankungen mit Alkohol in Verbindung gebracht.
  • Frauen sind stärker gefährdet, weil sie Alkohol im Magen weniger verstoffwechseln und dadurch mehr ins System übertritt und weil Frauen weniger Wasser im Körper haben, was den Alkohol im Körper verdünnen kann.
  • Alkoholfrei ist gesetzlich geregelt und kann noch bis zu 0,5% Alkohol enthalten. Die Kennzeichnung “ohne Alkohol” bedeutet definitiv kein Alkohol enthalten.

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Schlusswort:

Genuss ist für mich etwas Gutes. Warum sollte ich ein Zellgift genießen. Mittlerweile bin ich so vernünftig und selbstsicher, dass ich kein Alkohol mehr brauche, um Spaß zu haben oder eine Party zu genießen.

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Alle Angaben sind ohne Gewähr. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an eine Suchtberatung oder Ihren behandelnden Arzt.